Ich liebe seit einigen Jahren das Laufen durch die Natur, die Berge mag ich davon am liebsten. Wenn zwischendurch ein paar knackige Anstiege und verschlungen Pfade zu erkunden und erklimmen sind, ist das perfekt.
Ich wollte mal wieder aus der Komfortzone heraus und mich neuen Zielen widmen. Vergangenes Jahr war es sportlich sehr anspruchsvoll, ich streifte durch die Ammergauer Alpen von Garmisch nach Füssen. Diese wunderschöne erlebnisreichen Tour, wo alles dabei war, was mein Herz erfreut: klare Bergseen, Gipfel, Singletrails und natürlich heimische Küche Käsespätzle. Somit bin ich auch auf die Idee gekommen, wenn du die 73 km durch die Alpen an 3 Tagen schaffst, dann müsste es ja mit 70 km und 1810 Hm am Stück eventuell auch funktionieren.
Mir machte es auch Mut, da ich beim Sachsentrail schon die 19 km und die 34 km Strecke gelaufen bin und damit im Bilde war, was auf mich zukommt. Also habe ich mich im alten Jahr 2017 angemeldet, denn mit dem Ziel im Fokus kann ich einfacher mein Training planen.
Die Zeit bis dahin ist ja noch lang, also habe ich mir erstmal Infos und ein Buch übers Ultralauftraining besorgt und studiert, einen Trainingsplan entworfen und alle Einheiten in eine Tabelle übertragen.
Bei einem Trainingslauf von Stollberg nach Hormersdorf gab es dann unvorbereitet plötzlich einen starken Stich im rechten Knie. Ich dachte, „macht nichts, ich gehe paar Meter und dann gehts wieder“. Da ich bis zum Start meiner Runde wieder 10 km zurücklaufen musste, war es dann am Ende vor Schmerz nicht mehr möglich, zu laufen. Mein Plan den Ultratrail am 30.6.2018 mitlaufen zu können, kam mächtig ins Schwanken, aber erstmal mussten die Schmerzen wieder weg. Eine Ärztin konnte mir helfen und gab mir den dringenden Rat, regelmäßig zu dehnen. Dadurch wurde es langsam, aber stetig immer besser. Ich kann mich daran erinnern, wie ich die ersten 8 km wieder Laufen war, habe mich wie ein Kind darüber gefreut! Man merkt eben erst, was man hat, wenn’s nicht mehr so läuft! Ich habe dann den Entschluss gefasst nachdem es besser war , die 70 km zu versuchen und wenn es dann nicht geht, einfach den Lauf zu beenden. Die Startgebühr war ja sowieso bezahlt.
Die Zeit bis zum Start am 30.6. verging wie im Fluge. Familie, Training und Arbeit in Einklang bringen, war eine echte Herausforderung und ging nur durch die sehr liebevolle Unterstützung meiner Familie! Vielen Dank dafür!
Start war am 30. Juni 2018 auf dem Rabenberg bei Breitenbrunn, eine sehr zu empfehlende Location wenn es um Familie und sportliche Aktivitäten geht. Landschaftlich gelegen zwischen Breitenbrunn und Johanngeorgenstadt im Erzgebirge auf 913 m ( Rabenberg ).
Die Downhillstrecken unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade, die für die Mountainbiker sonst präpariert sind, waren nun für uns Läufer frei gegeben. Stellt sich nur noch die Frage was muss alles in den Laufrucksack? Pflichtausrüstung ist klar und paar Riegel, Trinkwasser und Wechselkleidung. Für die Strecke habe ich dann noch ein Dropbag gepackt, was dann vom Veranstalter in Cesky Mlyn deponiert wurde. 7 Uhr war der Start angesagt und ich war eine Stunde vorher vor Ort, die Unterlagen besorgte ich am Vortag. Das Wetter versprach ein Bilderbuchtag zu werden: Temperaturen um die 15-22 C blauer Himmel – ein Geschenk für alle Aktiven. Den Laufrucksack auf den Schultern, lauschten die Ultratrailer dem Briefing. Ich war schon aufgeregt, denn gleich fiel der Startschuss zum Ultra.
Pünktlich 7 Uhr gings los, angefeuert von den Familien und Sportlern die für die weiteren Strecken gemeldet sind. Die Läuferkarawane schlängelte sich Richtung Rabenberg bergauf und schnell wurde aus der breit nebeneinander laufenden Trailrunnergruppe ein lange Reihe, die sich auseinanderzog.
Ein bunter Wurm schlängelte sich nach einer Abbiegung den ersten Downhill „Stone Garden“ hinunter nach Erlabrunn. Es ging über Steine, knifflige Wurzeln kreuz und quer in einem schnellen Tempo bergab. Auf die Uhr schauen war hier nicht empfehlenswert, sonst kann es passieren man legt eine Flugphase ein. Zwischendurch standen wieder die Zuschauer und feuerten alle kräftig an mit den Worten: „Ist nicht mehr weit- nur noch 69 km!“
Im Tal angekommen, gab es den 1. VP 5,5 km Erlabrunn mit Wasser und freundlicher Betreuung. Im Schwarzwasssertal, zwischen hohen Fichten und einem leichten Anstieg, ging es weiter Richtung Johanngeorgenstadt. An jeder Weggabelung hingen Flatterbänder und wiesen uns den Weg durch die beeindruckende Erzgebirgslandschaft. Vorbei am Pachthaus, es diente nach dem Krieg als Bergarbeiterunterkunft, gehts nach diesem Talabschnitt wieder über Trails bergauf zum 2. VP 13 km Neuoberhaus. 13 Km waren nun bereits geschafft und es ging mir einwandfrei. Frische Waldluft, die freundliche, fürsorgliche Betreuung mit dem einen oder anderen Tipp für uns Läufer, rundeten die Stimmung ab. Es gab kein Drängeln, keinen Stress nach Zeiten – einfach nur die Natur um uns herum genießen und unseren Sport. Übrigens könnte man im Grenzgraben den wir gerade durchstreiften, sowieso nicht überholen, hier war Gänsemarsch angesagt zwischen Deutschland und Tschechien. Es gab sogar wieder sehr gut restaurierte Grenzsteine aus alten Zeiten.
Plötzlich war der Weg weg, und der Vordermann/-frau auch nicht mehr in Sicht, nur noch kleine mannshohe Fichten um uns herum. Eine kleine Suchaktion unter unserer Gruppe begann und jeder hatte `nen Tipp, wo es evtl. weiter geht. Da ich den Streckenabschnitt im Training gelaufen bin, fand ich das nötige Schlupfloch zurück auf den Trail und wir waren alle wieder vereint im Gänsemarsch.
Vorbei an der „Himmelswies“ (915m), ein idyllischer Ort zum Verweilen und Entspannen, gehts über die Grenze nach Tschechien einen Forstweg wieder bergab nach Potucky zum Gasthaus „Roter Fuchs“. In den ich diesmal nicht einkehren konnte, denn wenn man dann einmal sitzt, kommt man nicht wieder hoch.
Ich überholte noch einige Läufer und traf unsere zufällig entstandene Laufgruppe (ein paar Mädels aus dem Erzgebirge und ein Ultraläufer aus Thüringen, der bereits schon mehrfach den Supermarathon auf dem Rennsteig absolviert hat). Am Roten Fuchs VP 5 nach 20,5 km war der Halbmarathon in der Tasche und es ging wie am Schnürchen eine Forststrasse exquisit geteert nach Halbmeile hinauf. Dort passierten wir eine herrliche Kapelle St. Nepomuk die Naturliebhaber zum Verweilen einlädt und zum Besinnen auf Gott. (An so einem Ort kann ich sehr gut wieder zu mir selber finden in dieser doch recht bewegten Zeit.) Aber an diesem Tag ging es im Laufschritt daran vorbei.
Ich verließ nun mit unserer kleinen neu gefundenen Gruppe den Hauptweg „Milovska Silnice“ nach Gottesgab rechts haltend nach Cesky Ml. Wir passierten eine in den blauen Himmel ragende Felsgruppe Taubenfelsen und wurden vom Plätschern des Mückenbaches begleitet.
Der Clou des jetzt erreichten VP 6 + 8 27,4km + 46,7 km Cesky Mlyn besteht darin , dass dieser 2 mal passiert werden muss. Dazwischen liegt- ich realisiere das jetzt erst und das ist gut so – ein lockerer Halbmarathon! Hier gab es allerdings alles, was das Herz begehrt: Wasser, Isogetränke, Haferschleim, Brezeln, Bananen, Riegel, Kuchen, Nüsse, Melonen, Kartoffeln mit Salz…eine ganze Menge, was das Läuferherz erfreut.
Aber nun weiter über Serpentinen Richtung Zlatky Kopec und Tellerhäuser. Immer nur bergauf — ach so, das hatte ich ja schon gesagt, ein Berglauf eben auf geschwungenen Pfaden mit Erzgebirgs-Ambiete als Zugabe. Also der Anstieg hat es in sich und ich überlegte gerade, wann man so einen Lauf ohne Reue abbricht. Ich kam aber zu keiner Entscheidung ,da ich eine neue Gruppe einholte – und die motiviert mich wieder, als eine Läuferin von ihren Erlebnissen aus Kasachstan berichtet. Wenn sie erzählt, wo sie alles dieses Jahr schon war, komme ich mir vor wie auf einer Spazierrunde. Aber gut so, wir erreichten den VP 7 37 km bei Dlouha Cesta, wo ich meine erste Cola trank, da sich ein Kohlenhydratdefizit ankündigte. Was etwas knifflig ist: wieviel und was isst am man auf der Strecke? Zuviel ist schlecht, dann rebelliert der Magen der hat ja eigentlich vom Körper her fast Sendepause, aber er soll ja auch Nährstoffe aufnehmen. Und das kann er nur bedingt, da der Laufapparat alles andere runterfährt um genug für die Muskelarbeit zu reservieren. Ich habe mit Kartoffeln mit Salz, Bananen, Nüssen und Chiasamen sehr gute Erfahrung gemacht. Nach so ca. 46,7 km erreichte ich wieder – nach einem wundervollen Downhill von Tellerhäuser bis Rittersgrün – wieder den VP 6 + 8. Mein hier gelagertes Dropbag benötigte ich bei diesem Spitzenwetter nicht. Nach dieser Strecke und guten 1200 Hm (600 Hm fehlen noch), merkte ich schon deutlich in den Beinen, dass die Strecke keine Spazierrunde wird und ich musste mich zwingen, mich nicht wie ein Mitläufer, auf einen Stuhl zu setzen.
Frisch gestärkt und uns gegenseitig motivierend , denn unsere Gruppe ist wieder zusammen, ging es weiter über Rittersgrün steil bergauf neben dem Kranbächel durch ein sonnendurchflutetes, dunkelgrün schimmerndes Tal. Zwischendurch musste ich immer mal wieder schnell gehen, es sind teilweise 15 % Steigung und der Puls war jenseits der Schallmauer unterwegs. Die Höhe verrate ich lieber nicht. Ein Gel noch, um den aufkommenden Hunger zu stillen. Dann mußten wir nach einer Streckenänderung quer durch den Wald. Das war etwas kürzer, aber dafür steiler, gut markiert, also kein Problem, aber ne Steigung, wie in den Alpen. Bei VP 9 52,7 km Preishausstrasse gab es wieder das volle kalte Buffet, wo ich auch gerne zulangte, die Kilometer machen sich bemerkbar und zwischendurch dachte ich auch mal daran, aufzuhören – der Plan war, mindestens die Marathonmarke zu knacken. Das habe ich geschafft, war schon jetzt bissel stolz auf mich. Dann saß doch an einer Weggabelung ein lieber Helfer, den den richtigen Weg wies. Er hatte am Boden auch ein Schild, daß hier auch ein Ausstieg aus dem Rennen günstig wäre, wegen dem Läuferrücktransport. Jetzt dachte ich, „Bis hier bin ich gekommen, jetzt beiß ich mich bis zu den nächsten Kilometern auch noch durch!“
Ich plane übrigens sowieso nur von VP zu VP – ist besser meine ich, sonst denkt unsere „Schaltzentrale“: „70,3 km am Stück das kannste vergessen Tino, nicht mit mir!“
Den VP 10 61,0 km Oberdorfer Galgenflügel erreichte ich nach dem Erklimmen von gefühlt duzenden Uphill Trails der Mountainbiker doch recht gut, allerdings war mein Akkus nun auch fast leer. Ich füllte diesen wieder auf mit saftiger Melone. Cola ist leider aus, aber die Helfer sprachen uns Mut zu und wir ernteten auch von vorbei Wandernden respektvolle Blicke. Das baute auch mich wieder etwas auf, ich überlegte nicht lange, schraubte mir die Ohrstöpsel ins Ohr und ließ mich von meiner Lieblingsmusik steil bergab durch den Wald nach Breitenbrunn tragen.
Am VP 11 65,7 km Neuer Anbau in Breitenbrunn nahm ich mir nochmals Wasser, Salzstangen und Nüsse mit. Das Ziel war in Reichweite, aber ich wollte mich lieber erst freuen, wenn ich dort bin. Paar Kilometer waren’s noch. Ein kurzes Stück Straße war wieder markiert mit Flatterbändern und dann gings wieder in meinen geliebten Wald. Erst gerade hin und dann der Hammer steil bergauf ohne Ende in Sicht! Das war nun ganz schön hart und kostete nochmal viel Kraft und Willen! An der Abbiegung zum Rabenberg wurde ich wieder sehr freundlich von 2 Helferinnen empfangen, ein kurzer Plausch und dann gings auf den Endspurt wieder auf einem Uphill der Mountainbiker hinauf über den Kletterpark bis zum Ziel. Der kleine Trail schlängelte sich nach oben, man hörte schon den Sprecher, aber rundherum waren nur Bäume zu sehen. Also weiter.
Ich kam aus dem Wald heraus und bog auf die Zielgerade ein. Was soll ich sagen, mir standen die Tränen in den Augen! Ich wurde angefeuert, wie der 1. Platz und bekam die ersehnte Medaille umgehängt.
ICH HABE ES GESCHAFFT!!!
Ich bin glücklich und stolz diese Strecke aus eigener Kraft bewältigt zu haben! Ein Traum geht damit in Erfüllung. Ich denke, jeder Sportler, der sein Ziel erreicht hat, kann das gut nachvollziehen. Dankbar bin ich, vor allem, da ich diese Knieverletzung hatte, und im Februar nicht mehr daran geglaubt habe, den Lauf überhaupt mitlaufen zu können.
Für mich ein gelungener, sehr gut organisierter und landschaftlich sehr anspruchsvoller Ultratrail! Es gibt hier auch Stecken von 19 km, 34,4 km und auch fürs Walking eine Strecke, also für jeden was dabei. Auch die Kinder haben eine große Freude auf einem Kinderkurs durch den Wald zu laufen.
Tino Böttger
https://www.sachsentrail.de/
http://www.sportpark-rabenberg.de/